Muusikute mobiilsus ja muusika levik Läänemere ruumi idaosas Rootsi aja teisel poolel: kultuuriülekande teooria sobivusest regionaalse muusikaloo konstrueerimisel.
In: Res Musica, 2014, Heft 6, S. 21-36
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Seit den 1980er Jahren ist die Kulturtransfertheorie (Espagne, Werner 1985) zu einem der in den Geisteswissenschaften fest etablierten Ansätze zur Untersuchung des wechselseitigen kulturellen Einflusses von Regionen, Gruppen, sozialen Schichten usw. geworden. Während der Ansatz ursprünglich zur Erforschung der deutsch-französischen kulturellen Beziehungen im 19. Jahrhundert herausgebildet wurde, hat sich der Anwendungsbereich mittlerweile geographisch, thematisch und auch zeitlich erheblich erweitert. Im Aufsatz wird den Fragen nachgegangen, worin der Nutzen der Kulturtransfertheorie für die Musikgeschichtsschreibung bestehen könnte und welche Probleme entstehen, wenn man Aspekte der Musikgeschichte im Ostseeraum des 17. Jahrhunderts, insbesondere in den schwedischen Ostseeprovinzen, mit Hilfe dieses Ansatzes zu erklären versucht. Die Kulturtransfertheorie in ihrer jetzigen Form wurde stark durch Auseinandersetzungen mit vergleichender Geschichtsschreibung geprägt. Die Befürworter des Kulturtransferansatzes haben an kontrastiven Methoden hauptsächlich kritisiert, dass sie kulturelle Identitäten als fertige Größen behandeln, Phänomene gleichsetzen, die in unterschiedlichen Kulturen verschiedene Funktionen ausüben, und (implizit) eine Hierarchie der Kulturen voraussetzen (Kulturgefälle). Die Kulturtransfertheorie ermöglicht demgegenüber die Erforschung dynamischer Prozesse und zwischenkultureller Beziehungen und betrachtet Kulturen als gleichwertig, indem sie die Perspektiven aller beteiligten Parteien berücksichtigt. (Espagne 1992: 100, 2000: 42, 59, 2006: 14-15; s. auch Trakulhun 2007: 72, 85-87) Das grundlegende Prinzip der Kulturtransfertheorie ist zwar ebenfalls der Vergleich, doch ist er lediglich einer von vielen Schritten bei der Analyse des kulturellen Einflusses (Espagne 2006: 60). Der Ansatz versucht eine Reihe von Aspekten einzubeziehen: Gründe und richtunggebende Kräfte des Transfers (in erster Linie Politik, Handel und Transportwege); die durch den Transfer hervorgerufenen Änderungen sowohl in der Zielkultur (in einigen Fällen auch Ausgangskultur) als auch der Transferobjekte; Kriterien bei Akkulturation der Letzteren usw. (Espagne 2006: 15-16). Im Aufsatz werden zunächst drei zentrale Gesichtspunkte der Theorie (wie Espagne und Werner sie bereits 1985 erwähnen) an einigen Beispielen der Musikgeschichtsschreibung erprobt: Erstens ist die Rolle des Empfängers des kulturellen Einflusses aktiv; zweitens wird Kulturgut nicht unverändert übernommen, sondern aus der „alten" Kultur dekontextualisiert und in der „neuen" rekontextualisiert; drittens spielen die Vermittler im Kulturtransfer eine wesentliche Rolle. Anschließend wird auf die Probleme eingegangen, die bei der Anwendung der Theorie auf den musikkulturellen Ostseeraum des 17. Jahrhunderts entstehen. Die Berücksichtigung der ersten und dritten Behauptung könnte für einige Aspekte der Musikgeschichte (des 17. Jahrhunderts im Ostseeraum) durchaus fruchtbringend sein, während die zweite für die Musikwissenschaft nichts Neues darstellt: Die Beachtung von „Übersetzungen", d. h. Änderungen des Kulturguts (z. B. Betrachtung eines neuen musikalischen Kontextes oder der Art der Anpassung der übernommenen Elemente), ist ein herkömmlicher Teil musikanalytischer Untersuchungen. Wie Münz may (2010: 339-341) bemerkt, ist es aber selbst bei einem Einzelwerk sinnvoll danach zu fragen, welche Eigenschaften des Originals seine Rezeption verursachen und beeinflussen; außerdem weist die Art und Weise der Änderungen natürlich auf die Möglichkeiten, Bedingungen, Interessen, aber auch Denkkategorien der Zielkultur hin. Gemäß der ersten Behauptung kann Kulturtransfer nicht alleine durch die Attraktivität des Übernommenen erklärt werden (vgl. Espagne 2000: 43). So gibt es etwa dafür, dass nahezu alle in Est- und Livland tätigen Kantoren des 17. Jahrhunderts aus Deutschland kamen, weitergehende Gründe als nur ihre gute Qualifikation - die Ostseeprovinzen mussten für sie auch anziehend genug sein. Das Augenmerk auf mögliche dahintersteckende Faktoren zu richten, kann sich für Musikgeschichtsschreibung lohnen, und hier leistet die Kulturtransfertheorie gute Dienste. Der Nutzen einer Untersuchung der Rolle der Vermittler, also der mobilen Musiker, ist für die Musikgeschichte ebenfalls offensichtlich: Aus dem Wissen über frühere Aufenthalts-sowie Studienorte, Kontakte usw. der in die Ostseeprovinzen gereisten Musiker ergeben sich Informationen über das dortige Musikleben und Repertoire. Carl-Allan Moberg hat vom Ostseeraum als einer einheitlichen musikalischen Region bereits in den 1950er Jahren gesprochen (Moberg 1957, 1958; s. auch Schwab 1989; Andersson 1994; Koch 2005). Bei der Anwendung der Kulturtransfertheorie auf den Ostseeraum entsteht allerdings ein fundamentales Problem, wenn Kriterien, die man als Zeichen einer einheitlichen Kultur betrachtet (z. B. gemeinsames Repertoire), gleichzeitig das Untersuchungsobjekt des (kulturelle Unterschiede voraussetzenden) Kulturtransfers werden. Wie groß müssen also die Unterschiede zwischen den Regionen sein, damit man noch von Kulturtransfer sprechen kann? Sind musikalische Lokaltraditionen in unterschiedlichen Gebieten des Ostseeraumes gut genug ausgeprägt, damit man überhaupt bemerkenswerte Einflüsse voraussetzten kann (ganz zu schweigen von der Frage, ob es möglich ist, aufgrund der momentan vorhandenen Quellen über die Lokaltraditionen genug zu sagen)? Auch wenn man zum Schluss kommt, dass die Voraussetzung für die Entstehung und das Bestehen eines gemeinsamen (Musik-)Kulturraums gerade der Kulturtransfer selbst ist (vgl. Schwab 1989: 141; Koch 2005: 27-28), kommen weitere Fragen auf. Wie wären etwa die an der Verbreitung der Musik Beteiligten zu bestimmen? Die meisten Musiker, die in die Ostseeprovinzen gekommen sind, haben dies über zahlreiche andere (oft unbekannte) Aufenthaltsorte getan, die ihrerseits als Filter (für Wissen und Fertigkeiten der Musiker sowie Repertoires, die sie mitbrachten) betrachtet werden können. Obwohl nicht alle Aspekte der Kulturtransfertheorie auf die Musikgeschichtsschreibung gleichermaßen sinnvoll anwendbar sind, die Anwendung der Theorie auf den musikkulturellen Ostseeraum im 17. Jahrhundert einige Probleme bereitet und daher nicht die ursprüngliche Form der Theorie, sondern eher ihre Fortentwicklungen eingesetzt werden könnten, kann der Ansatz bei anderen Aspekten der Musikgeschichte des 17. Jahrhunderts anregend und ertragreich sein. So wird im Aufsatz - von der Kulturtransfertheorie inspiriert - schließlich gezeigt, dass für das Bestehen musikalischer Kontakte zwischen bestimmten Städten (wie Tallinn/Narva und Lübeck; Danzig/Königsberg und Riga) oder für das Fehlen zwischen anderen (z. B. Tallinn und Danzig) neben den Handelsverbindungen oder Transportwegen auch strukturell-institutionelle Eigenheiten des Musiklebens oder Hierarchien der Musikerämter in den jeweiligen Städten ursächlich sind. Die regen musikalischen Kontakte zwischen Lübeck (auch Lüneburg) und Tallinn (auch Narva) wurden u. a. durch die starke Organistentradition sowie die Konkurrenz zwischen Organisten und Kantoren in diesen Orten begünstigt, so dass für Musiker aus Tallinn eine Lehrzeit bei norddeutschen Meistern nicht nur aus rein fachlichen Gründen bevorzugt war, sondern auch die Karrierechancen in der Heimat verbessern konnte. In Danzig und Riga hingegen erleichterte eine ähnliche institutionelle Struktur des Musiklebens den Berufsverkehr der Musiker zwischen diesen Städten: In beiden spielten Organisten eine untergeordnete Rolle, und es gab mehrere privilegierte Musikergilden (Compagnien), in Danzig hatte sogar jede Kirche ihre eigene Kapelle. Eine mögliche Antwort auf die Frage, mit welcher Methode gemeinsame Prozesse im musikkulturellen Ostseeraum untersucht werden könnten oder sollten, ist der Kulturtransferansatz. Obwohl seine Anwendung auf Ostseeraum des 17. Jahrhunderts auch etliche Probleme verursacht und die überzeugendsten Untersuchungen nicht unbedingt in seiner Rhetorik oder Terminologie sprechen, kann die Kulturtransfertheorie in einigen Fällen zumindest als wertvolle Inspirationsquelle dienen. [ABSTRACT FROM AUTHOR]
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Muusikute mobiilsus ja muusika levik Läänemere ruumi idaosas Rootsi aja teisel poolel: kultuuriülekande teooria sobivusest regionaalse muusikaloo konstrueerimisel.
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Autor/in / Beteiligte Person: | Schaper, Anu |
Zeitschrift: | Res Musica, 2014, Heft 6, S. 21-36 |
Veröffentlichung: | 2014 |
Medientyp: | academicJournal |
ISSN: | 1736-8553 (print) |
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